Eine Prostituierte salbt Jesus

Eine Prostituierte salbt Jesus

January 27, 20256 min read

Lukas 7, 36-50

36 Einmal wurde Jesus von einem Pharisäer zum Essen eingeladen. Er ging in das Haus dieses Mannes und begab sich an den Tisch. 37 Da kam eine Prostituierte herein, die in der Stadt lebte. Sie hatte erfahren, dass Jesus bei dem Pharisäer eingeladen war. In ihrer Hand trug sie ein Fläschchen mit kostbarem Öl. 38 Die Frau ging zu Jesus, kniete bei ihm nieder und weinte so sehr, dass seine Füße von ihren Tränen nass wurden. Mit ihrem Haar trocknete sie die Füße, küsste sie und goss das Öl darüber.

39 Der Pharisäer hatte das alles beobachtet und dachte: »Wenn dieser Mann wirklich ein Prophet wäre, müsste er doch wissen, was für eine Frau ihn da berührt. Sie ist schließlich eine stadtbekannte Hure!«

40 »Simon, ich will dir etwas erzählen«, unterbrach ihn Jesus in seinen Gedanken. »Ja, ich höre zu, Lehrer«, antwortete Simon.

41 »Ein reicher Mann hatte zwei Leuten Geld geliehen. Der eine Mann schuldete ihm 500 Silberstücke, der andere 50. 42 Weil sie das Geld aber nicht zurückzahlen konnten, schenkte er es beiden. Welcher der beiden Männer wird ihm nun am meisten dankbar sein?«

43 Simon antwortete: »Bestimmt der, dem er die größere Schuld erlassen hat.« »Du hast recht!«, bestätigte ihm Jesus.

44 Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: »Sieh diese Frau an! Ich kam in dein Haus, und du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben, was doch sonst selbstverständlich ist. Aber sie hat meine Füße mit ihren Tränen gewaschen und mit ihrem Haar getrocknet. 45 Du hast mich nicht mit einem Kuss begrüßt. Aber seit ich hier bin, hat diese Frau gar nicht mehr aufgehört, meine Füße zu küssen. 46 Du hast meinen Kopf nicht mit Öl gesalbt, während sie dieses kostbare Öl sogar über meine Füße gegossen hat. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben; und darum hat sie mir so viel Liebe erwiesen. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt auch wenig.«

48 Zu der Frau sagte Jesus: »Deine Sünden sind dir vergeben.« 49 Da tuschelten die anderen Gäste untereinander: »Was ist das nur für ein Mensch? Er vergibt sogar Sünden!«

50 Jesus aber sagte zu der Frau: »Dein Glaube hat dich gerettet! Geh in Frieden.«

Die auf dieser Webseite verwendeten Bibeltexte sind zitiert aus der Bibelübersetzung "Hoffnung für alle", © 2015 Biblica, Inc. Alle Rechte vorbehalten.



Zur Zeit Jesu bildeten die Pharisäer eine vornehme religiöse Oberschicht und waren sehr bemüht, Gott gegenüber alles richtig zu machen. Aus der Thora hatten sie 365 Verbote und 248 Gebote herausgearbeitet, die sie strikt befolgten. Sie entrichteten sogar auf Dill und Kümmel die Zehnten-Abgabe und wenn ihnen auf der Strasse eine hübsche Frau entgegenkam, kniffen sie die Augen zusammen, um nicht von ihren Reizen versucht zu werden. Sie waren sich fast sicher, dass sie als „Gerechte“ bei Gott angenommen waren. Somit hielten sie sich selbstgerecht für die „Gesunden“, die Jesus als „Arzt“ nicht nötig hatten (vgl. Markus 2,17). Manche von ihnen waren Kritiker und schliesslich erbitterte Gegner Jesu. Andere aber luden ihn zu sich ein - schon Lukas erwähnt drei Beispiele (hier, 11.37 und 14,1) - und Nikodemus suchte Jesus nachts auf und hörte von ihm, dass alle „von Gottes Geist neu geboren werden müssen“ (Johannes 3). Gamaliel wiederum setzte sich später im Hohen Rat für die ersten Christen ein (Apg 5,34). Jesus war auch für die Pharisäer da und hatte die Einladung von Simon angenommen. Dieser interessierte sich einerseits für Jesus, nannte ihn auch anerkennend „Lehrer“, anderseits empfing er Jesus reserviert, ohne das übliche Waschwasser, Gesichtssalbe oder einen Begrüssungskuss. Vermutlich wollte er sich gegenüber seinen Freunden nicht vorschnell mit Jesus solidarisieren, ihn lieber kritisch prüfen.

eine Prostituierte salbt Jesu Füsse

Beim Essen lag man auf Polstern um den Tisch, die Füsse wiesen sternförmig nach hinten, die Sandalen hatte man ausgezogen. Da dringt eine stadtbekannte Prostituierte ins Haus des Simon. Sie will Jesus unbedingt sehen und während sie sich nach ihm durchfragte, dürften ihr die Männer nachgepfiffen und die Frauen sie angeflucht haben. Unter den frommen Geladenen würde das nicht besser sein: die verurteilenden Gedanken und die Verachtung würden sich auf ihren Gesichtern zeigen. Trotzdem wagt sich die Frau unter ihre Blicke zu Jesus. Sie muss ihm schon vorher begegnet sein. Und dabei hatte sie ganz anderes erlebt: Barmherzigkeit, Annahme und Vergebung. Ihr war klar geworden, dass Jesus sie von ihrer Schuld befreien konnte und wollte und das hatte eine ungeheure Dankbarkeit in ihr ausgelöst. Sie griff nach dem Kostbarsten, was sie hatte: einem Fläschchen Parfumöl aus Myrrhe, im Wert von weit über hundert Tageslöhnen. In einem Akt der Ehrerbietung will sie Jesus damit salben. Als sie in den Raum stürzt, beginnt sie heftig zu weinen, kann gerade noch zu den Füssen von Jesus niederknien und übersät sie mit Küssen und Tränen, trocknet sie mit ihren Haaren und giesst das Salböl über sie aus. Der Duft des himmlischen orientalischen Parfums erfüllt den Raum. Jesus empfängt die Zärtlichkeit ruhig und wertschätzend.

Alabastergefäss

Simon hingegen ist schockiert und von Jesus enttäuscht. Von so einer hätte Jesus sich nicht berühren lassen dürfen, wenn er wirklich ein Prophet wäre. Jesus zeigt aber prophetische Einsicht, indem er weiss, was die Menschen denken (Lukas 9,47) und indem er Simon ein zu seiner Haltung passendes Gleichnis erzählt. Dieses macht deutlich, dass es hier nicht um den Unterschied schuldlos-sündig geht, sondern um nur graduell verschieden grosse Schuld. Jesus gibt Simon dadurch zu bedenken, dass auch er Vergebung braucht. Der Geldverleiher war ein im Judentum häufiges Bild für Gott. Dadurch, dass grosse und kleine Schuldner im Gleichnis nicht bezahlen können (ebenso Matthäus 18,21-35), wird ausgedrückt, dass kein Mensch sich Gott gegenüber selber von seiner Schuld befreien kann. Auch Simon erhält Vergebung nur geschenkweise.

Herzen

Kann Simon sehen, dass auch er das nötig hat? Die Prostituierte jedenfalls hatte täglich qualvoll erlebt, wie alle ihr ständig ihre Schuld anrechneten und sie in Schande versinken liessen. Es lastete auf ihr, dass sie laufend gegen Gottes Gebot verstossen und viele Ehebeziehungen unheilvoll belastet hatte. Es schien, als könne das alles niemals ungeschehen gemacht und ihr zerbrochenes Leben nie wieder aufgerichtet werden. Als sie aber realisierte, dass Jesus ihre Beziehung zu Gott und ihr Leben auf die neue Grundlage der Gnade stellte, war sie überwältigt von einer Dankbarkeit, die in grosse Liebe zu Jesus (und zu Gott) mündete. Dankbarkeit und Liebe - nicht das Bestreben sich die Annahme bei Gott verdienen zu wollen - sollen denn auch die Motivation für gutes Verhalten sein. Bei der Frau zeigen sich Reue über das bisherige Leben und Umkehr. Dass Jesus sie „in Frieden“ entlässt, deutet an, dass sie ihr Leben fortan anders gestalten wird. Indem Jesus vor illustrer Gesellschaft öffentlich bestätigt, dass ihr vergeben ist, ist sie dazu rehabilitiert. Rettende Wirkung hatte nicht ihre Liebe, sondern ihr Glaube. Durch diesen wurde das Geschenk der Vergebung gleichsam eingelöst bzw. aktiviert. Die Gäste wundern sich, was Jesus wohl für einer sein mag, dass er sogar Sünden vergibt (vgl. Highlight "Jesus heilt einen Gelähmten" Markus 2,1-12).

Ordinierter evangelisch-reformierter Pfarrer.

Martin Müller

Ordinierter evangelisch-reformierter Pfarrer.

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