Gleichnis vom barmherzigen Vater

Gleichnis vom barmherzigen Vater

January 29, 20258 min read

Lukas 15,11-32

11 Jesus erzählte weiter: »Ein Mann hatte zwei Söhne. 12 Eines Tages sagte der jüngere zu ihm: ›Vater, ich will jetzt schon meinen Anteil am Erbe haben.‹ Da teilte der Vater seinen Besitz unter die beiden auf. 13 Nur wenige Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld, verließ seinen Vater und reiste ins Ausland. Dort leistete er sich, was immer er wollte. Er verschleuderte sein Geld, 14 bis er schließlich nichts mehr besaß. Da brach in jenem Land eine große Hungersnot aus. Es ging dem Sohn immer schlechter. 15 In seiner Verzweiflung bettelte er so lange bei einem Bauern, bis der ihn zum Schweinehüten auf die Felder schickte. 16 Oft quälte ihn der Hunger so sehr, dass er sogar über das Schweinefutter froh gewesen wäre. Aber nicht einmal davon erhielt er etwas.

17 Da kam er zur Besinnung: ›Bei meinem Vater hat jeder Arbeiter mehr als genug zu essen, und ich sterbe hier vor Hunger. 18 Ich will zu meinem Vater gehen und ihm sagen: Vater, ich bin schuldig geworden an Gott und an dir. 19 Sieh mich nicht länger als deinen Sohn an, ich bin es nicht mehr wert. Lass mich bitte als Arbeiter bei dir bleiben!‹

20 Er machte sich auf den Weg und ging zurück zu seinem Vater. Der erkannte ihn schon von weitem. Voller Mitleid lief er ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 ›Vater‹, sagte der Sohn, ›ich bin schuldig geworden an Gott und an dir. Sieh mich nicht länger als deinen Sohn an, ich bin es nicht mehr wert.‹ 22 Sein Vater aber befahl den Knechten: ›Beeilt euch! Holt das schönste Gewand im Haus und legt es meinem Sohn um. Steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt Schuhe für ihn! 23 Schlachtet das Mastkalb! Wir wollen essen und feiern! 24 Denn mein Sohn war tot, jetzt lebt er wieder. Er war verloren, jetzt ist er wiedergefunden.‹ Und sie begannen ein fröhliches Fest.

25 Inzwischen war der ältere Sohn nach Hause gekommen. Er hatte auf dem Feld gearbeitet und hörte schon von weitem die Tanzmusik. 26 Er rief einen Knecht herbei und fragte ihn erstaunt: ›Was wird denn hier gefeiert?‹ 27 ›Dein Bruder ist wieder da‹, antwortete er ihm. ›Und dein Vater freut sich sehr, dass er ihn wohlbehalten wiederhat. Deshalb hat er das Mastkalb schlachten lassen, und jetzt feiern sie ein großes Fest.‹ 28 Der ältere Bruder wurde wütend und wollte nicht ins Haus gehen. Da kam sein Vater zu ihm heraus und redete ihm gut zu: ›Komm und freu dich mit uns!‹29 Doch er entgegnete ihm bitter: ›All diese Jahre habe ich mich für dich abgerackert. Alles habe ich getan, was du von mir verlangt hast. Aber nie hast du mir auch nur eine junge Ziege gegeben, damit ich mit meinen Freunden einmal richtig hätte feiern können. 30 Und jetzt, wo dein Sohn zurückkommt, der dein Vermögen mit Huren durchgebracht hat, jetzt lässt du sogar das Mastkalb für ihn schlachten!‹

31 Sein Vater redete ihm zu: ›Mein Sohn, du bist immer bei mir gewesen. Alles, was ich habe, gehört auch dir. 32 Darum komm, wir haben allen Grund, fröhlich zu feiern. Denn dein Bruder war tot, jetzt lebt er wieder. Er war verloren, jetzt ist er wiedergefunden!‹«

Die auf dieser Webseite verwendeten Bibeltexte sind zitiert aus der Bibelübersetzung "Hoffnung für alle", © 2015 Biblica, Inc. Alle Rechte vorbehalten.



Jesus erzählt hier von einem jüngeren Soh, der reissaus nahm. Irgendwie muss sich in seinem Herzen ein Paradigmenwechsel vollzogen haben inbezug auf seine Lebensphilosophie. Vater (und Mutter) lebte(n) Werten nach wie Produktivität (man brachte etwa Korn, Wein, Fleisch oder Obst hervor) Generativität (gemäss Eriksons Lebensaufgaben - sie hatten eine Familie gegründet und Kinder grossgezogen), soziale Verantwortung (V. 17: „bei meinem Vater hat jeder Arbeiter mehr als genug zu essen“) und Liebe: der Vater lässt seinen Sohn frei, hält ihn nicht in wirschaftlicher Abhängigkeit, er wartet auf ihn und hält Ausschau nach ihm; er verzeiht ihm, er umarmt ihn und beschenkt ihn. Diese Lebensweise machte den Vater offenbar zu einem glücklichen und zufriedenen Mann, wie auch Frankl beobachtet: „Das Glück ist eine Nebenwirkung von Sinnverwirklichung“, und die Bibel verheisst: „Deine Weisungen und Gebote bringen jedem, der sie befolgt, gelingendes und erfülltes Leben (an vielen Stellen, z.B. Neh 9.29) so auch Jesus: „Wer sich an sein Leben klammert, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben für mich aufgibt, der wird es für immer gewinnen.“ (Mt 10,39)

Sohn Frauen

Der jüngere Sohn interpretierte das alles als unterdrückende Frömmigkeit und wirft es schliesslich über Bord. Oberster Wert ist ihm nun das Geniessen und weil man sich alles, was Spass macht, kaufen kann, wird ihm auch das Geld sehr wichtig: Er verlangt vom Vater totalen Erbvorbezug. Damit erklärt er ihn gleichsam für tot, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass er die Beziehung zu ihm beendet, indem er weit fort reist. Das muss den Vater sehr schmerzen. Er gibt den Sohn aber nicht gekränkt und wütend auf, sondern wartet voller Sehnsucht auf ihn. Damit ist der Vater im Gleichnis ein Bild für Gott, der es ebenfalls zulässt, wenn Menschen ihn und seine Werte (Gebote) für tot erklären und nach eigenem Gutdünken ihren Lebensentwürfen folgen. Gleichzeitig hofft Gott sehr, dass seine geliebten Menschen sich ihm wieder zuwenden, er bleibt zugänglich und vergebungsbereit.

Der jüngere Sohn lebte zunächst wie Jesajas Landsleute, die ohne höhere Werte von Gott nichts wissen wollten, nach dem Motto: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ (Jesaja 22,13) Paulus hat dem entgegengehalten „Wo Gottes Reich beginnt, sind Essen und Trinken nicht mehr so wichtig. Es geht darum, dass wir so leben, wie es Gott gefällt, was uns mit Frieden und Freude erfüllt, so wie es der Heilige Geist schenkt.“ (Römer 14,17). Aber das sah der jüngere Sohn ganz anders. Gebote hin oder her: er wollte die Genüsse des Lebens in Saus und Braus auskosten. Rückhaltlos verjubelte er dafür sein Geld.

Sohn Schweine

Mit etwas Weitblick und Lebenserfahrung ist absehbar, dass die Rechnung des jüngeren Sohnes nicht aufgehen konnte. Frankl hat beobachtet: „Wenn man die Lust an sich erstrebt, vergeht sie einem mit der Zeit.“ Man kann dann noch versuchen, die Genüsse zu steigern, doch das führt leicht zu Sucht mit Unfreiheit (wie kontroproduktiv, wo man doch gerade die grosse Freiheit suchte!) und Folgeproblemen. Auch reichen unsere Ressourcen selten aus für lebenslanges Geniessen und selbst wenn, so reissen uns eine Krankheit, ein Unfall, die Beschwerden des Alters oder irgendwelche Krisen aus dem Schlaraffenland heraus. Auch in finsteren Lebensphasen müsste eine tragfähige Lebensphilosophie Bewältigungshilfen vermitteln (Psalm 23,4). Als der jüngere Sohn sein Geld verbraucht hatte, stand er ohne solide Erwerbsmöglichkeiten da, was umso schlimmer war, als gerade auch noch eine Zeit der Missernten und Hungersnot ausbrach. Seine Freunde, die die sozialen Werte ebenfalls untergewichtet hatten, dachten nicht daran, sich um ihn zu kümmern, als es ihm schlecht ging. Dabei hätten sie wohl gute Gründe gehabt, sich für seine frühere spendierfreudige Generosität zu revanchieren. Auch die Freundinnen hatten ihm bloss Sex ohne Liebe gegeben und auch das nur gegen Geld. Der vereinsamte junge Mann musste schliesslich froh sein, die Schweine eines Bauern hüten zu können - unreine Viecher für einen Israeliten. Der Lohn reichte nicht für genügend Essen, darum hätte er sogar gerne vom Schweinefutter gegessen (dürre und zähe Schoten vom Johannisbrotbaum), aber hartherzig wurde ihm das verweigert. Im Kontrast dazu kam ihm die Güte seines Vaters in den Sinn und er sagte sich, bei ihm könnte er es noch als geringster Arbeiter besser haben. So beschoss er, heimzukehren, sich zu entschuldigen und sich für eine solche Stellung anzubieten.

Sohn Heimkehr

Die barmherzige Reaktion des Vaters ist überwältigend. Nicht nur hatte er immer gehofft, gewartet und Ausschau gehalten, er rennt seinem Sohn entgegen, als er ihn sieht (als orientalischer Gutsherr machte er sich damit lächerlich), umarmt und küsst ihn, so dass dieser nicht einmal sein ganzes Schuldbekenntnis hersagen kann, und dann setzt er ihn mit Schuhen (im Unterschied zu den barfüssigen Bediensteten), einem Prachtsgewand und einem Siegelring (zum Beglaubigen prokuraartiger Vertragsunterschriften) feierlich wieder in die Sohnesstellung ein. Voller Freude richtet er sogleich ein Fest aus mit dem besten Fleisch vom Mastkalb und lässt zum Tanz aufspielen. Jesus illustriert mit diesem Gleichnisaspekt, was er auch in 15,7 sagt: „Wenn ein Sünder zu Gott umkehrt,.. herrscht im Himmel grosse Freude“.

Der ältere Sohn, der beim Vater geblieben war, reagiert auf die Geschehnisse ganz verärgert. Jesus spricht hier die religiösen Führer an, die gemäss V. 2 über seine Hinwendung zu „Zöllnern und Sündern“ schimpften. Sie waren stolz darauf, nicht zu sein wie solche Leute, und sie waren auch stolz auf ihre asketische Selbstbeschränkung: „Ich faste zwei Tage in der Woche..“ (so der Pharisäer in Lukas 18,12). Der ältere Sohn meint, der Vater hätte ihm all die Jahre nicht einmal eine Ziege spendieren wollen, um mit seinen Freunden feiern zu können. Auch er hortet ein Misstrauen gegenüber dem Vater, das ihn denken lässt, dieser sei nur freudlos leistungsorientiert. Dem hält der Vater entgegen: „Mein Sohn.. alles, was ich habe, gehört doch auch dir.“ (V. 31). Und dass er es hätte geniessen dürfen wird auch daran ersichtlich, dass es im Judentum nur drei offizielle Fastentage gab: den Versöhnungstag (jom kippur), jenen an Purim und jenen zum Gedenken an die Tempelzerstörung. Die Fest- und Feiertage hingegen überwiegen weitaus: jede Woche ist Sabbat, und dazu feiert man z.T. tagelang die Feste Passah, Schawuot, Laubhütten, Neujahr, Purim.. Von den Pharisäern hatte Gott nie so viel Fasten verlangt. Sie taten es für die eigene Einbildung. Im Gegenteil: Mit Gott sollen sich die Menschen freuen, und auch mit jenen, die Gott wieder neu gefunden haben.

Ordinierter evangelisch-reformierter Pfarrer.

Martin Müller

Ordinierter evangelisch-reformierter Pfarrer.

Back to Blog