
Abrahams Berufung
1. Mose 12,1-8
1 Der Herr sagte zu Abram: »Geh fort aus deinem Land, verlass deine Heimat und deine Verwandtschaft und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde! 2 Ich werde dich zum Stammvater eines großen Volkes machen und dir viel Gutes tun; dein Name wird überall berühmt sein. Durch dich werden auch andere Menschen am Segen teilhaben. 3 Wer dir Gutes wünscht, den werde ich segnen. Wer dir aber Böses wünscht, den werde ich verfluchen! Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.«
4 Abram gehorchte und machte sich auf den Weg. Er war 75 Jahre alt, als er Haran verließ. 5 Mit ihm kamen seine Frau Sarai, sein Neffe Lot sowie alle Knechte und Mägde, die sie in Haran in den Dienst genommen hatten. Mit ihrem ganzen Besitz brachen sie in Richtung Kanaan auf. Als sie schließlich dort ankamen, 6 durchzogen sie das Land, das damals von den Kanaanitern bewohnt wurde. Bei Sichem ließen sie sich nieder, in der Nähe der Eiche von More.
7 An dieser Stätte zeigte der Herr sich Abram und versprach ihm: »Ich werde dieses Land deinen Nachkommen geben!« Abram schichtete Steine auf als Altar für den Herrn, dort, wo Gott ihm erschienen war. 8 Dann zog er weiter nach Süden zu dem Gebirge östlich von Bethel. Zwischen Bethel im Westen und Ai im Osten schlugen Abram und die Seinen ihre Zelte auf. Auch hier baute er einen Altar und betete zum Herrn.
Die auf dieser Webseite verwendeten Bibeltexte sind zitiert aus der Bibelübersetzung "Hoffnung für alle", © 2015 Biblica, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Nach dem Sündenfall berichtet die biblische Urgeschichte von Mord und Totschlag, von Sittenverrohung und Vergewaltigung und von allgemeinder Gottlosigkeit. Nicht einmal mit dem „Reset“ durch die Sintflut liess sich eine flächendeckende Frömmigkeit wiederherstellen. Aber inmitten eines von ihm entfremdeten Umfelds führte Gott durch die Berufung Abrahams und mit seinen Nachkommen eine neue Spur ein. Er begann, eine neue Geschichte zu schreiben: die biblische Heilsgeschichte.
Ebenso wie die Schöpfungsgeschichte beginnt diese Heilsgeschichte damit, dass Gott spricht. V.1: „Und der HERR sprach zu Abram (sein Name wird später zu Abraham erweitert): Geh aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus und zieh in ein Land, das ich dir zeigen werde.“ Dieses Ansinnen Gottes ist nicht ohne: Es bedeutet für Abram, die Solidarität seiner Sippe zu verlassen und seine Niederlassung mit Haus und Land in einer prosperierenden Handelsstadt mit guter Wasserversorgung aufzugeben zugunsten einer wüstenhaften beschwerlichen Nomadenexistenz ohne genaues Ziel. Die Sicherheiten seiner heimatlichen Existenzgrundlage brechen ab und er wird haltlos und schutzlos, indem sein Geschick nur noch in Gottes Hand liegt. (Ähnlich ging es den Jüngern, als Jesus sie berief mit „Folge mir nach“.) Im vorgerückten Alter von 75 soll Abram so viel Komfort verlassen! Auch religiös war er doch gut versorgt und eingebettet im mesopotamischen Polytheismus mit seinen imposanten Ziggurat-Türmen, dem so prominenten Mondgott Sin und weiteren Göttern für jeden Bedarf, etwa die Ishtar für die Liebe und Fruchtbarkeit oder den Teshub für das Wetterglück. Josua 24,4 erinnert daran: „Eure Väter haben von alters her jenseits des Eufratstromes gewohnt, nämlich Terach, der Vater Abrahams.. und haben fremden Göttern gedient.“ Abram, der bisher den üblichen Göttern geopfert hatte, muss sehr überrascht gewesen sein, als der Herr („Jahwe“) sich ihm offenbarte und zu ihm sprach. Die Götter waren sonst ganz distanziert und es gab keine persönliche Interaktion mit ihnen. Aber nun wendet sich ihm ein göttliches Wesen nachgerade freundschaftlich zu und verspricht ihm Fürsorge und Segen, Nachkommen und Land.

Dieses Erleben muss für Abram dermassen eindrücklich gewesen sein, dass er ohne Widerspruch und Zweifel unverzüglich seinen Besitz zusammenpackt und loszieht. Er spürt: Hier hat er es mit dem lebendigen Gott zu tun, der weit über allen Göttern steht. So sagt er später in 1. Mose 14,22 gegenüber dem König von Sodom: „Ich schwöre bei dem HERRN, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat.“ Damit konzentrierte sich sein Glaube auf einen einzigartigen und einzigen Gott. Nach Jakobus 2,24 kann Abram "Freund Gottes" genannt werden bzw. Gott "Freund Abrahams“. Jesus definiert Gott in Markus 12,26 ganz personbezogen als "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Der Gott der Bibel ist also ein Gott der Menschen, die Vertrauensbeziehung zu ihnen ist ihm wichtiger als blosses Gebotehalten: „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm als Gerechtigkeit an.“ („so fand er Gottes Anerkennung“ HFA; 1. Mose 15,6). Und in 1. Mose 18 bezieht Gott seinen Freund Abraham ein in seine Vorhaben V.17: „Da sprach der HERR: Wie könnte ich Abraham verbergen, was ich tun will?“ Immer wieder begegnet Gott in der Folge Abraham und ermutigt ihn. In 1. Mose 17 tritt er mit ihm in einen Bund, dessen Zeichen die Beschneidung ist, durch die Abrahams Nachkommen als besonderes Gottesvolk definiert werden.
Zunächst musste sich Abram ohne ein bekanntes Ziel auf den Weg machen und als Fremdling durch die Gegend ziehen, in steter Offenheit gegenüber Gott und seiner Führung, dann kristallisierte sich allmählich Kanaan als das versprochene Land heraus. Der Vorgang war ein Training für Abrams Glauben.

Er konnte dabei eine liebende Vertrauensbeziehung zu Gott entwickeln. Und Gott wollte sich auf diese Weise Abram selbst schenken und sein Gott werden. Herausgelöst aus dem alten Umfeld mit den polytheistischen Einflüssen bildete sich so Abrahams persönlicher Glaube an Gott. Mit ihm entstand eine neue religiöse Tradition und ein besonderes Gottesvolk, über das Gott sich allen Menschen bekannt machen wollte. V. 3: „Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.“ Das geschah dann auch dadurch, dass aus dem Stamm Abrahams der Messias Jesus Christus kam, durch den der geistliche Segen der Versöhnung mit Gott auf alle Menschen ausgebreitet wurde. Fünf Mal taucht das Wort „Segen“ ganz programmatisch in diesem Abschnitt auf. So erhebt sich eine Segens- und Heilslinie in der Weltgeschichte, die zum von Jesus angekündigten Reich Gottes unter uns und dann in Gottes neuer Welt führt.

V. 8 heisst es „er betete zum Herrn“, wörtlich „er rief den Namen des Herrn“. Damit kann anrufen uder ausrufen gemeint sein, so dass einige übersetzen: „Abram machte Gott bekannt“. Darauf deutet auch 1. Mose 23,6 hin, wo Abraham von den Kanaanäern wörtlich „Fürst Gottes“ genannt wird, da er sich vor ihnen offenbar deutlich zu seinem Gott bekannt hat. Das war auch die Funktion des Altars den Abram baute: ein Denkmal mit Hinweischarakter (ebenso macht er es in 1. Mose 13,18). An diesem Verhalten Abrams zeigt sich der Sendungs-Auftrag an das aus ihm entspringende Volk: Die Israeliten sollen den wahren und lebendigen Gott, dessen Handeln sie in ihrer Geschichte immer wieder erleben, vor der ganzen Welt bezeugen und bekannt machen.